Sterbeverfügung

Dieser Beitrag behandelt ein äußerst sensibles und kontroverses Thema – den (ärztlich) assistierten Suizid in Österreich. Die Grundlagen sind neben dem Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofs (Aufhebung der generellen Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid, 2020) das Sterbeverfügungsgesetz (StVfG, in Kraft getreten mit 01.01.2022) und die Handlungsempfehlungen der ÖGARI.

Wie würdest du in dieser Situation vorgehen?

Ich möchte den Beitrag mit einem fiktiven Fallbeispiel einleiten, zu dem sich jede/r Leser/in Gedanken machen soll:

  • Patient 46J, ♂
  • Nachforderung Notarzt durch Sanitäter vor Ort bei missglücktem assistiertem Suizid
  • Ersteindruck: soporöser Patient liegt mit Erbrochenem im Bett, flache Atmung, zyanotisch, imponiert gestresst
  • Anamnese: chron. krank (amyotrophe Lateralsklerose)
  • Wunsch nach assistiertem Suizid, Rezept für „Pentobarbital“ wurde ärztlich ausgestellt
  • Schwester hat „Pentobarbital“ aus Apotheke geholt
  • Pentobarbital wurde durch Patient zuvor selbst eingenommen, kurze Zeit später aber einen Teil erbrochen
  • nun präsentiert sich der Patient dem Rettungsteam wie oben beschrieben

Rechtliche und medizinethische Hintergründe

Die Autonomie des Patienten, in gesundheitlichen Belangen weitgehend selbst entscheiden zu können, ist ein unumstößliches und wichtiges Prinzip der modernen Medizin. § 110 StGB (Strafgesetzbuch) regelt die eigenmächtige Heilbehandlung, d.h. die medizinische Behandlung gegen den (mutmaßlichen) Willen eines Patienten. Sie steht in Österreich unter Strafe, muss jedoch aktiv beklagt werden.

Mit dem Erkenntnis des VfGH und dem Inkrafttreten des StVfG wurde den Menschen in Österreich nun auch das Recht auf ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben (unter gewissen Voraussetzungen) eingeräumt. Dies ist ein extrem wichtiger Gewinn für die Patientenautonomie.

Die Voraussetzungen sind im § 6 StVfG geregelt:

  • volljährig und entscheidungsfähig (bei Aufklärung und Errichtung der Sterbeverfügung)
  • höchstpersönliche Entscheidung
  • unheilbare, zum Tod führende Erkrankung oder schwere chron. Erkrankung mit anhaltenden und die Lebensführung beeinträchtigenden Symptomen
  • Leidenszustand

Die Aufklärung (§ 7 StVfG) muss durch zwei von einander unabhängigen Ärzten (mind. einer mit palliativmedizinischer Qualifikation) im Abstand von frühestens 12 Wochen erfolgen (2 Wochen bei terminaler Erkrankung). Sie beinhält auch die Verschreibung des tödlichen Präparates Pentobarbital, ein Barbiturat das oral eingenommen wird und zu Hypnose bzw. Atemstillstand führt. Die Sterbeverfügung ist im Sterbeverfügungsregister zu hinterlegen (§ 9 StVfG), damit auch der Apotheker bei der Präparatausgabe Einsicht hat (§ 11 StVfG). Der betroffene Patient muss das Präparat gegen unbefugte Entnahme sichern (§ 11 Abs 4 StVfG) und hat es zu retournieren, sofern er sich gegen den assistierten Suizid entscheidet. Die Haltbarkeit ist meist auf 1 Monat beschränkt.

Sollte eine p.o. Einnahme nicht möglich sein kann das Präparat vom Patienten über eine enterale Sonde oder i.v. Infusion zugeführt werden, sofern der Patient die Applikation selber durchführt, z.B. Öffnung der Rollerklemme des Infusionschlauches (Link). Als Begleitmedikation wird häufig Metoclopramid p.o. mediziert (Antiemetikum, Prokinetikum), es gelten dieselben Einnahmeregeln (eigenständige Zufuhr) wie beim tödlichen Präparat.

Was soll der Notarzt im Fallbeispiel also tun?

Die ÖGARI stellt in ihrem Positionspapier (s.o.) klar, dass dem Notarzt in so einem Setting wie in unserem fiktiven Fallbeispiel ausschließlich eine palliativmedizinische Rolle zukommt. Das bedeutet, dass der Patient einen würdevollen, angst- und schmerzfreien sowie respektvollen Todesprozess durchläuft. § 49a Abs 1 Ärztegesetz besagt, dass der Arzt Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde beizustehen hat. Dies beinhält in unserem Fall mindestens die Entfernung von erbrochenem Material und Durchführung von basalen Hygienemaßnahmen. Sollte der Patient gestresst oder schmerzgeplagt wirken ist die Gabe (primär s.c.!) eines Opioids (z.B. Morphin oder Piritramid) zulässig und indiziert. Eine eigenmächtige Heilbehandlung gegen den Willen des Patienten (z.B. Etablierung einer NIV oder Durchführung einer Narkoseeinleitung mit Intubation zur Sicherung des Atemwegs) ist – wie oben angeführt – strafbar!

Sollte der Zeitpunkt des Todeseintrittes nicht offensichtlich absehbar sein bzw. sind die Angehörigen mit der Situation überfordert, so ist es zulässig, den Patienten zur Betreuung im Sinne einer Comfort Terminal Care (CTC) ins Spital zu verbringen.

Merke: bestenfalls ist neben einer gültigen Sterbeverfügung auch eine gültige (verbindliche) Patientenverfügung vorliegend, die neben der Ablehnung genau definierter notfall- und intensivmedizinischer Maßnahmen auch den Bereich des „scheiternden“ Suizidversuches umfasst.


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