Heute habe ich wieder ein Fallbeispiel für euch, welches die Problematik aufzeigt, gegen die die OMI-NOMI-Gemeinschaft (Link) anzukämpfen versucht.
Die präklinische Phase
Das Ganze hat sich in einem NEF-Dienst abgespielt, als ich zu einem Patienten mit Brustschmerz und ausgeprägter Hypoxämie beordert wurde. Bei Eintreffen bot sich folgendes Bild:
- Problem: seit ca 3h plötzlich Druck auf Brust, retrosternal, diffus ausstrahlend, Übelkeit -> 3 Hub Nitro genommen, kaum Besserung -> plötzlich Luftnot -> RD gerufen
- männlich, ca 65J, auf der Couch sitzend, GCS 15
- A, B: SpO2 unter RL 70% (-> 15l O2 -> SpO2 93%), AF 20/min, Orthopnoe, Sprechdyspnoe, Asthma cardiale, basal bdsts feuchte RG (-> Verdacht auf akute Herzinsuffizienz)
- C: RR 130/70, HF 100r, EKG s. Bild, Knöchel ödematös
- Nebenbefund: seit paar Tagen auch etwas Schleim ausspuckend (-> Verdacht auf Begleitpneumonie)
- VE: maximales cardiales Risikoprofil (NSTEMI 2016 mit Stent, aHT, DM, HypLip, 20 Zig/d) -> Patient meint selbst er glaubt er hat wieder einen Infarkt
In Zusammenschau der Befunde und der Anamnese war für mich eine infarktbedingte akute Herzinsuffizienz vordergründig, weshalb ich telefonisch die PCI konsultierte. Mir war dabei bewusst, dass es schwierig werden würde den Patienten in einer PCI unterzubringen, da er NICHT hob. Genau das wurde mir am Telefon von der zuständigen PCI auch so gesagt, sodass ich vereinbart habe, den Patienten auf die IMCU mit PCI im Background zu bringen. Dies ist dennoch insofern erstaunlich, als dass die ESC Guideline (Link) zum ACS eine sofortige (<2h) PCI bei Instabilitätskriterien fordert (in unserem Fall also refraktäre Angina Pectoris [3x Nitro!] und akute Herzinsuffizienz). Wir wissen jedoch von den Daten (Link), dass diese Empfehlungen in der Praxis eigentlich ignoriert werden.
Aufgrund der unmittelbaren Nähe (Fahrzeit < 5 Min) zum Spital verzichtete ich auf zwei Maßnahmen: ACS-Therapie (aufgrund der abgelehnten PCI und baldigen Übernahme durch das Spitalspersonal) und CPAP-Therapie (Link). Bei längerer Fahrt hätte ich dem Patienten beides zukommen lassen. Ich führte im Rettungswagen noch einen Ultraschall durch, welcher folgende Befunde zeigte: deutliche B-Lines (-> Lungenödem), beginnende Pleuraergüsse (re > li), keine Pericardtamponade, keine Rechtsherzbelastung, LV-EF reduziert (ca 50%), kein Pneu. Therapie sodann: Furosemid 40 mg i.v., Diesel.
Die innerklinische Phase
Auf der IMCU wurde zügig eine CPAP-Therapie etabliert, unter der es rasch zur respiratorischen Besserung des Patienten kam. Parallel wurde ein Labor angefertigt, welches ein Troponin von ca 1200 pg/ml und ein BNP von ca 8500 ng/l zeigte, vereinbar mit einem akuten Myocardschaden und akuter Herzinsuffizienz. Ebenso wurde eine Streptokokkenpneumonie als Nebenbefund festgestellt. Von einem der aufnehmenden Ärzte wurde korrekterweise versucht, eine PCI (bei Verdacht auf NSTEMI) zu organisieren, doch auch ihm wurde mitgeteilt, dass sie nicht indiziert sei. Ein Kontrolllabor (nach 4h) zeigte einen Troponinanstieg auf ca 1500 pg/ml, das BNP bei ca 11300 ng/l.
In den Folgetagen wurden weder Troponinkontrollen noch eine PCI durchgeführt. Ob er ASS erhalten hat ist mir unklar, Clopidogrel gab es in der Dauermedikation.
Der Patient wurde auf die Normalstation verlegt und am selben Tag mit card. Dekomp erneut aufgenommen. So entschied man sich dann doch, eine PCI durchzuführen. Befund: RCA dtl. sklerosiert und mehrfach wirksam stenosiert, LM wirksame distale Stenose, LAD ostial wirksam stenosiert (proximal massive Stenose), CX ostial wirksam stenosiert. Laut Interventionist besteht die Indikation zur Akut-CABG (Herzbypass-OP).
Fazit
Man kann hier von Glück sprechen, dass dieser Patient NICHT akut verstorben ist. Ein Troponinanstieg von 1200 (und später 1500) ist jedenfalls auf einen Infarkt hinweisend. Eine PCI hätte noch am Aufnahmetag erfolgen müssen, doch man hat sich von den nicht vorhandenen ST-Hebungen fehlleiten lassen und die Empfehlungen der ESC Leitlinie nicht befolgt.
Abspann
Und jetzt habe ich noch einen weiteren interessanten Fall für euch. Mir wurde von einem Freund (ebenfalls Arzt) das EKG eines Patienten zugespielt, welcher am Vortag eine kurze Brustschmerzphase hatte und sich dann am Folgetag in der Notaufnahme vorgestellt hat. Der besagte Freund wollte wissen, ob ich hier einen Infarkt vermuten würde.
Meine Antwort lautete nein. Und das aus mehreren Gründen:
- die Klinik passt nicht (Patient zum Zeitpunkt des EKGs komplett beschwerdefrei)
- die ST-Hebung ist konkav
- das T ist sehr gut von der hebenden ST-Strecke differenzierbar
- aVL verhält sich gegenläufig zu I
Der Patient wurde in die PCI gesteckt. Was kam raus? Blande Coronarien. Kein Infarkt. Troponin: 8 ng/ml. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass zu sehr auf die ST-Hebung fokussiert wird, so wie es Dr. Steven Smith in seinem EKG-Blog mehrmals anprangert.
Laut Gerd Herold „Innere Medizin 2023“ versterben 40% der Infarktpatienten innerhalb von 48h. Wir müssen uns jedoch folgende Frage stellen: Ist der Infarkt das Problem oder sind es wir, weil wir ihn zu oft ignorieren bzw. uns überwiegend auf ST-Hebungen verlassen?
Wenn ihr glaubt, dass das Einzelfälle sind, muss ich euch enttäuschen. Seht euch mal den Beitrag, den Beitrag oder den Beitrag an.
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