Heute möchte ich euch von einem ganz besonderen und kniffligen Fall berichten, den ich in einem meiner Notarztdienste erlebt habe. Ich bin gespannt was eure Gedanken diesbezüglich sind.
Alarmierung
Die Alarmierung erfolgte zu einem ca. 80 jährigen Herrn, welcher im Sitzen bei einem Fest kollabiert war. Er war kurz nicht ansprechbar, aber dann relativ zügig wieder reorientiert. Zufällig anwesenden Ärzten präsentierte er sich kaltschweißig und hypoxisch (~ SpO2 85%). Daraufhin erfolgte die Alarmierung des RD.
Bei meinem Eintreffen war der Patient bereits im RTW mit GCS 15, O2 15 l/min mit SpO2 99%, HF ~ 55/min, RR 90/60 bdsts, Rekap < 2s, warme Haut, keine Ödeme, BZ bland. Ein Zugang war durch eine anwesende Ärztin bereits gelegt worden, 0,5l Kristalloid laufend. Ersteindruck somit: potentiell kritisch. In Gegenwart der Gattin erfolgte die Anamneseerhebung. Bekannt waren DM, stp. MCI und ICD-Implantation. Meds: Insulin, Xarelto (unklar wieso). Ich hatte also nur dürftige Infos. Der Patient selbst verneinte jegliche Thoraxschmerzen oder überhaupt Beschwerden.
EKGs
Ich ließ ein EKG anfertigen:

Beim Erstblick würde man sich sehr schnell dazu verleiten lassen, einen STEMI in den Raum zu stellen. Tiefe Q-Zacken in V1-V3, ST-Hebung V1-V3. Die Sache ist doch klar, oder? Ich war misstrauisch und ließ eine Rechtsherzableitung anfertigen, um den RV besser beurteilen zu können.

Ja, was ist denn jetzt los? Das sieht doch völlig anders aus als das Erst-EKG. Aber: der Patient hat ja über einen ICD berichtet. ICDs haben auch eine Schrittmacherfunktion. Das Rechtsherz-EKG ist somit ein Schrittmacher-EKG, wie an den Spikes vor den QRS-Komplexen unschwer zu erkennen ist. Wir müssen berücksichtigen, dass der Patient bei Eintreffen eine HF von ca 55/min hatte. D.h. während das Rechtsherz-EKG geschrieben wurde ist der Patient vermutlich mit der HF unter den eingestellten Schwellenwert gefallen und der Schrittmacher hatte das Pacing übernommen.
Differentialdiagnosen
Eine erneute Messung der Vitalwerte zeigte völlig blande Ergebnisse, der O2 konnte entfernt werden. Folgende Gedanken bzw. Ursachen gingen mir nun durch den Kopf:
- der Patient hatte tatsächlich ein ACS
- der Patient hatte eine VT, die von selbst terminiert war
- der Patient war einfach dehydriert und ist orthostatisch synkopiert
Wieso nahm der Patient Xarelto? Wieso sah das EKG so aus, welches ich noch mal in Ruhe im NEF studierte? Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Patient hatte höchstwahrscheinlich ein linksventrikuläres (LV) Aneurysma vom alten Infarkt. Dort bestand durch die fehlende Kontraktion der abgestorbenen Muskulatur ein Thromboserisiko – deshalb das Xarelto! Ein LV-Aneurysma zeigt sich im EKG u.a. als persistente ST-Elevation (Link). Überhaupt waren die Q-Zacken auch viel zu tief für einen akuten Infarkt. Ein Ultraschallgerät hatte ich leider nicht zur Verfügung.
Verlauf
Auch auf mehrere Nachfragen wurden jegliche ACS-Symptome verneint. Aber er war ja Diabetiker und ca 80 Jahre alt, da kann ein ACS auch schon mal stumm sein. Aber ganz habe ich das ACS nicht abgekauft. Deshalb besprach ich den Fall telefonisch mit der zuständigen PCI. Der Interventionist war ebenfalls der Ansicht, dass ein ACS untypisch erscheine, ich aber dennoch zur Sicherheit zu ihnen in die Notaufnahme fahren sollte. Sollte eine etwaige PCI nötig sein könnte diese gleich erfolgen.
So verzichtete ich bewusst auf eine Herzinfarkttherapie und transportierte den Patienten notarztbegleitet in das Zielspital. Ein Kontroll-EKG vor Übergabe war idem, der Patient selber weiterhin völlig beschwerdefrei.
Später wurde mir telefonisch mitgeteilt, dass ein Herzultraschall das LV-Aneurysma bestätigte und ein ACS erfolgreich ausgeschlossen werden konnte. Irre, oder? Die Ursache des Kollaps war zu dem Zeitpunkt nicht eruierbar (Auslesen des Defis noch nicht erfolgt), am ehesten denke ich aber durch Orthostase bedingt.
PS: Das EKG ist ein perfektes Beispiel für STEMI positiv, aber OMI (-). Siehe mehr dazu hier.
Einen weiteren spannenden Fall, der mir Kopfzerbrechen bereitete, findet ihr hier.
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