Glycopyrrolat zählt zu den Substanzen, die ich als Anästhesist am häufigsten verabreiche. Ich schätze folgende Wirkmuster dieses peripheren Anticholinergikums: fehlende Penetration ins zentrale Nervensystem (deutlich reduzierte Delirinzidenz), Drosselung der Sekretion von Speichel- und Bronchialdrüsen (→ ratsam vor Wachintubationen), Bronchodilatation und Tachycardie (→ Glycopyrrolat ist im ERC 2021 Algorithmus der Bradycardie als Alternative zu Atropin gelistet). Zusätzlich ist es mein bevorzugter Kombinationspartner mit dem peripheren Acetylcholinesterase-Hemmer Neostigmin im Rahmen der Antagonisierung von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxanzien (wie Rocuronium), um die übersprießende Wirkung von Acetylcholin auf die neuromuskuläre Endplatte zu beschränken.
Da Opioide wie Fentanyl und Hypnotika wie Propofol bekanntermaßen Bradycardie verursachen, verabreiche ich bei Patienten mit grenzwertiger oder bradycarder Herzfrequenz noch vor Narkoseeinleitung Glycopyrrolat 0,2 mg i.v. (Kind: 0,005 mg/kg i.v.), um das Risiko für einen schwerwiegenden Frequenzabfall mit konsekutiver Hypotonie zu verringern. Der Wirkeintritt ist in der Regel innerhalb weniger Minuten. Bei fehlendem Effekt empfiehlt sich die Wiederholung der halben Dosis oder Atropin 0,25-0,5 mg i.v.
Zusammenfassend ist Glycopyrrolat ein Medikament, welches ich äußerst häufig verabreiche. Wiewohl die Fachinformation von Esketamin die Vorgabe von Atropin (oder Glycopyrrolat) bei geplanter Sedoanalgesie oder Narkoseeinleitung zur Reduktion der Hypersalivation (und somit Atemwegskomplikationen wie Laryngospasmus) empfiehlt, so konnte dies nicht bestätigt und in der Tat sogar das Gegenteil nachgewiesen werden (oder hier, hier). Aufgrund des verzögerten Wirkeintritts ist es bei zeitkritischen Notfällen (z.B. hämodynamisch instabiler proximaler AV-Block Grad 3, chirurgischer Vagusreiz zB während Carotis-OP) Atropin unterlegen.
Schreibe einen Kommentar